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Wohnen und Baukultur nicht nur in Metropolen

Ein Plädoyer für Klein- und Mittelstädte

Seit geraumer Zeit ist klar: Deutschland steht vor einem demografischen Dilemma. Städte wie München, Berlin oder Hamburg platzen aus allen Nähten, während sich Dörfer in ländlichen Gebieten entleeren und ganze Landstriche zu veröden drohen. Was in der aktuellen Debatte noch viel zu wenig beachtet wird: Hierzulande gibt es jenseits der Ballungsräume vielversprechende Klein- und Mittelstädte, die als Alternative zwischen Metropole und Dorf ernst genommen werden sollten und deren Potenzial auf der Ebene der Baukultur liegt.

Nicht alle Menschen wollen in die Großstadt: Bei freier Wahl würden 77 Prozent der Deutschen gern in einer Landgemeinde bzw. in einer Mittel- oder Kleinstadt wohnen. Das hat eine Umfrage der Bundesstiftung Baukultur gezeigt. Und die Auswahl ist groß: In ihrer polyzentralen Struktur zählt die Bundesrepublik rund 11.000 Gemeinden, Klein- und Mittelstädte (mehr als 50.000 Einwohner).

Kleinere Städte versprechen genug Platz für alle, mehr Sicherheit und Behaglichkeit, kurze Wege, mehr Natur und weniger Stress. Dennoch sind nicht alle Klein- und Mittelstädte gleichermaßen attraktiv. Vielen Orten in ländlichen Gegenden fehlt es an lebendigen, charaktervollen Ortszentren, mit denen sich die Bewohner identifizieren können. Zwar sind Mitte 2016 erstmals mehr Menschen von der Stadt aufs Land gezogen als umgekehrt – allerdings nicht aus der Metropole ins Dorf, sondern als Flucht vor hohen Kosten ins Einfamilienhaus am Stadtrand. Ein riskanter Trend, denn während an den Rändern immer neue, oft gesichtslose Einfamilienhausgebiete entstehen, herrscht in der Mitte der betroffenen Kommunen oft Leerstand und Tristesse, historische Gebäude verfallen, die Identität von Orten schwindet – der sogenannte Donut-Effekt tritt ein.

Dabei geht es auch anders: Die Stadt als Krapfen, der das pralle Leben in der Mitte enthält, wo beim Donut das Loch klafft. Als ernsthafte Alternative zu den Metropolen bieten „Krapfen-Städte“ im Zentrum eine gute Mischung aus Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und Freizeit bei kurzen Wegen. Wie die Attraktivität von Innenstädten durch baukulturelle Maßnahmen gefördert werden kann, zeigen zahlreiche Beispiele.

Mit der Renaturierung der Sieg brachte die Stadt Siegen den Fluss zurück in die Stadtmitte. Einhergehend mit den 180 Meter langen neuen „Siegtreppen“ folgte die Neugestaltung weiterer Plätze, Promenaden und Brücken im Umfeld des Flusses zur Neubelebung der Innenstadt. Die unterfränkische Kleinstadt Karlstadt nahm sich einer ehemaligen Lagerhalle an, baute sie zum Dorfladen mit Café um und etablierte so ein neues „Dorfzentrum“ mit Treffpunktcharakter. Das bürgerschaftliche Engagement wurde mit dem Staatspreis 2017 „Dorferneuerung Baukultur“ ausgezeichnet. Senftenberg in Brandenburg gelang es, durch einen neuen Stadthafen attraktiver zu werden. Der Hafen schob weitere positive Entwicklungen an: Es entstanden neue Hotels, Spielplätze und Gastronomieangebote in Hafennähe. Die kleine Gemeinde Hiddenhausen in Ostwestfalen fördert mit dem Programm „Jung kauft Alt“ junge Familien finanziell beim Kauf eines mindestens 25 Jahre alten Hauses, um Leerstand zu vermeiden und dem Donut-Effekt entgegenzuwirken.

Erfolgreiche Klein- und Mittelstädte bieten ihren Einwohnern eine hohe Lebensqualität und wirken darüber hinaus mit ihrer Strahlkraft ins Umland aus. Als Ankerstädte dienen sie als Anlaufstelle für die umliegenden Dörfer und können helfen, weiterer Abwanderung aus der jeweiligen Region vorzubeugen. Solche Baukultur-Orte sind meist auch für Touristen attraktiv und kurbeln dadurch wiederum die Wirtschaft an. Deshalb gilt es, Orte mit Strahlkraft zu stärken, sie funktional, städtebaulich und baukulturell zu festigen und weitere Standorte mit Entwicklungspotenzial zu identifizieren.

Reiner Nagel, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur