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Nachbarrecht:

Überhängende Äste dürften abgeschnitten werden, auch wenn der Baum abstirbt

Bäume und Sträucher, die vorschriftsmäßig angepflanzt sind oder deren Beseitigung wegen Ablauf der Frist nicht mehr verlangt werden kann, führen dennoch manchmal zu Problemen. Nicht selten ragen Zweige eines solchen Baumes oder Strauches auf das Nachbargrundstück hinüber oder die Wurzeln dringen in das Nachbargrundstück ein. Das Gesetz spricht hier von „Überhang“.

Abschneiden und behalten darf der Grundstückseigentümer die Wurzeln eines Baumes oder Strauches, die vom Nachbargrundstück her eingedrungen sind, wenn diese die Benutzung seines Grundstückes beeinträchtigen (§ 910 Abs. 1 BGB), zum Beispiel Anlagen wie Plattenwege und Abflussrohre beschädigen, dem angepflanzten Gemüse Feuchtigkeit entziehen oder die dortigen Anpflanzungen unter Schattenwirkung leiden.

Ein Grundstückseigentümer darf ferner die vom Nachbargrundstück auf sein Grundstück herüberragenden Zweige abschneiden und behalten, sofern diese die Benutzung seines Grundstückes beinträchtigen. Er darf dabei das Nachbargrundstück nicht betreten. Voraussetzung ist allerdings, dass er dem Nachbarn zuvor eine angemessene Frist gesetzt hat, die Zweige selbst zu beseitigen, und der Nachbar dieser Aufforderung nicht nachgekommen ist.

Im Hintergrund dieses Rückschnittforderungsrechtes des Nachbarn kommt es in Nachbarstreitigkeiten häufig zum dem Einwand, dass der geforderte Rückschnitt nicht durchgeführt werden könne, da in einem solchen Fall der Baum absterben würde.

Der Bundesgerichtshof entschied nunmehr zu dieser Thematik in einem Urteil vom 11. Juni 2021- V ZR 234/19 -, dass das Selbsthilferecht nach § 910 Abs. 1 BGB - vorbehaltlich naturschutzrechtlicher Beschränkungen eines Rückschnitts - nicht deshalb ausgeschlossen sei, weil durch die Beseitigung des Überhangs das Absterben des Baums oder der Verlust seiner Standfestigkeit drohe.

Eine Verhältnismäßigkeits- oder Zumutbarkeitsprüfung im Hintergrund des geforderten Rückschnittes und dem Erhalt des Baumes sei gesetzlich nicht vorgesehen und widerspreche den Vorstellungen des Gesetzgebers. Dieser habe sich bewusst für eine einfache und allgemein verständliche Ausgestaltung des Selbsthilferechts entschieden. Diesem Ziel liefe es zuwider, wenn der durch den Überhang beeinträchtigte Nachbar vom Selbsthilferecht nur unter der Voraussetzung Gebrauch machen dürfte, dass das Abschneiden der Wurzeln oder Zweige die Standfestigkeit des Baums nicht gefährde und auch nicht aus sonstigen Gründen zum Absterben des Baums führen könne.

Praxistipp

Die Entscheidung des BGH schließt an dessen Entscheidung vom 14.06.2019 an und sorgt für weitergehende Klarheit im Verhältnis zwischen über den Überhang streitende Nachbarn. Für die Praxis bedeutet die Entscheidung, dass - von naturschutzrechtlichen Regelungen abgesehen - keine Notwendigkeit dafür besteht, vor dem Abschneiden der Äste die Auswirkungen auf den Fortbestand des Nachbarbaums durch Hinzuziehung eines Sachverständigen oder zumindest sachkundigen Dritten ermitteln zu lassen. Erforderlich ist neben der vorherigen Fristsetzung lediglich die Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 910 BGB, wozu gemäß Absatz 2 der Rechtsnorm ebenfalls als Voraussetzung gehört, dass die Zweige die Benutzung des Grundstücks beeinträchtigen. Ein grundlegender Rückschnittanspruch bei Überhang ohne eine bestehende Beeinträchtigung besteht demnach nicht.
Henry Naporra RechtstippHenry Naporra
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht bei Haus & Grund Frankfurt